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Der Pilgerweg nach Santiago de Compostela
18.07.1997 - 03.08.1997
0a. Prólogo
0b. Die Motive der Pilger
01. Lohmar - Neef/Mosel
02. Neef - Neufchâteau
03. Neuchâteau - Nuits St. Georges
04. Nuits St. Georges - l’Arbresle
05. l’Arbresle - Le Puy
06. Le Puy - Nasbinals (Aubrac)
07. Nasbinals - Fignac
08. Figeac - Auvillar (Garonne)
09. Auvillar (Garonne) - Arzacq-Arraziguet
10. Arzacq - St. Jean Pied de Port
11. St. Jean Pied de Port - Estella (Spanien)
12. Estella - Burgos
13. Burgos - León
14. Léon - Villafranca del Bierzo
15. Villafranca del Bierzo - Palas de Rey
16. Palas de Rei - Santiago de Compostela

Prólogo

Neben Jerusalem und Rom ist der Pilgerweg nach Santiago in der christlichen Welt der bekannteste. Im letzten Jahr zählte das spanische Fremdenverkehrsamt über 3 Mio Pilger, die mit Bussen, Bahnen, Autos, zu Fuß, zu Pferd und mit dem Rad die Kathedrale in Santiago besuchten.

In Frankreich beginnt der Pilgerweg in den Pyrenäen bei St. Jean Pied de Port.

Vier Wege durch Frankreich vereinigen sich in den Pyrenäen zu einem einzigen, auf dem im Mittelalter Millionen von Pilger nach Santiago zogen.

Jakobus der Ältere, Bruder des Evangelisten Johannes, wurde nach seinem Tod in Jerusalem begraben. Um seine Gebeine vor den Sarazenen zu retten, brachte man sie Anfang des 6. Jh. nach Galizien. Das Ende der Welt.

Der Jakobuskult und die Wallfahrten nach Santiago bildeten die Grundlage zu der ersten grossen gemeinsamen europäischen Verbundenheit. Europäische Architekten und Bildhauer schufen entlang des Jakobsweges Kunstwerke der Romanik und Gotik. Musik und Literatur fanden neue Formen, die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen neue Dimensionen.

Im 11. Jh. wurde der erste Reiseführer veröffentlicht...

Und heute:

Eine Möglichkeit für Individualisten nach der Devise:

Die Vergangenheit bewundern und die Gegenwart in sich aufnehmen.

Ein besonderes und unvergleichbares Erlebnis ist die Begegnung mit charakteristischen europäischen Landschaften, mit Geschichte, Kultur und Ihren Menschen.

Wer den Pilgerweg einmal gemacht hat, wird ihn zeitlebens nicht vergessen.

[subir]

Die Motive der Pilger

Welche Beweggründe veranlassten die Menschen im Mittelalter, diesen harten Weg zurückzulegen?

Waren für die Kirche und die Theologen die Hauptanliegen einer Pilgerfahrt Buß- und Heilssuche, so ging es dem Laien, gleich welchen sozialen Standes, um den unmittelbaren physischen Kontakt mit den Heiligtümern in Santiago. Dort sucht und findet der Glaube die gleichsam materiell greifbare Heilsversicherung, die später in den alltäglichen Lebensbereich mit hineingenommen wurde.

Unter den Pilgern stellten junge Menschen ein beachtliches, sogar das grösste Kontingent, auf der Suche nach der Heilung ihrer Krankheiten und Gebrechen - egal ob körperlicher, geistiger oder seelischer Leiden und Nöte.So wundert es nicht, dass die Pilgerzahlen vor allem bei und nach Hungersnöten, Epidemien, Natur- und anderen Katastrophen gewaltig anstieg.

Sportgeist, Heilssuche, psychologische Reinigung, Sozialhygiene, unbestimmbare Sehnsucht, Bildungsbürgertum, Massentourismus, Modererscheinungen - es gibt viele Chiffren für ein Phänomen, das als Kulturrelikt alle herkömmlichen Be- und Verurteilungskriterien sprengt.

Die Motive nach Santiago de Compostela zu pilgern, sind vielfältig und nicht auslotbar. Der Weg ist das Ziel. Die Kultur auf der Strecke saugt einen auf.Das Bewusstsein, auf einem Weg zu fahren oder zu gehen, auf dem vor Jahrhunderten nachweisbar unsere Grossväter gepilgert sind, überwältigt und lässt zugleich den Körper mit einer Gänsehaut überfahren. Auf der Strecke habe ich Menschen aller Nationen getroffen. Meist junge Menschen und keiner nannte mir seine Motive.

In Castrojeriz sitze ich auf der Strasse vor einem kleinen Brunnen, als ein PKW vor mir hält. Eine Frau aus Liverpool/Engl. steigt aus und fragt mich, ob ich auf dem Camino bin. Sie macht ihre Doktorarbeit über den Camino und befragt Pilger über ihre Motive, diesen doch steinigen Weg zu begehen.Ich habe der (angehenden) Doktorandin die Frage offen gelassen, nur ein Foto hat Sie von meinem verschwitzten, verschmutzten und übermüdeten Körper mit nach Hause genommen.

[subir]

Lohmar - Neef/Mosel

18.07.1997
135 km

Die frische Luft auf den Höhen der Eifel tut gut. Seit 2 Stunden sitze ich im Sattel. Langsam weicht der Druck der Aufregung und das Reisefieber der letzten Tage. 14.00 Uhr, der Regen hat aufgehört, es ist kühl und das Rad rollt.

Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, um 5.00 Uhr heute morgen von zu Hause aus zu starten. Aber der Dauerregen zerstörte meine Pläne und somit die Idee, am ersten Tag direkt Frankreich auf meinem Weg nach Santiago de Compostela zu erreichen.

16 kg Gepäck, das neu gekaufte Trekking unter dem Hintern hatte stolze 19 kg, ich selber ein Gewicht von 81 kg, das über fast 3000 Trainingskilometern von Januar bis Juli heruntertrainiert wurde, ergaben somit fast 116 kg, die ich über jeden der 2745 km zu schleppen hatte.

Die Strecke sollte eigentlich Bonn - Santiago heissen. Meine Frau brachte mich mit dem Wagen zum Endenicher Ei nach Bonn, damit ich die fast 70 Ampelanlagen zwischen Lohmar - Siegburg - Bonn sparen konnte. Jetzt befand ich mich vor Kelberg, hatte den Höhenzug der Hohen Acht hinter mir und rollte Richtung Ulmen. Meine Gedanken waren nicht auf der Strecke, die optimal vorbereitet war und fast im Kopf auswendig stand, als mehr beim Gepäck - war alles dabei? - Schlafsack, Biwak, Schloss, Landkarten, Riegel und Bananen. In vielen Trainingsstunden hatte ich mich an das doch schwere Gepäck in den Satteltaschen gewöhnt. Die Steigungen der Eifel machten mir keine Schwierigkeiten - nur, es fing, kurz nachdem ich Ulmen erreicht und die Autobahn Trier-Koblenz passierte, wieder an zu regnen. Mit Cape und Regenschuhen erreichte ich Ediger-Eller an der Mosel. Jetzt waren es noch 16 km bis Neef, dem Wohnhaus der Schwiegereltern, das mich für die erste Nacht auf meiner Strecke nach Santiago aufnahm.

Nach einem guten Nachtessen und einem Schluck Moselwein suchte ich bereits um 21.30 Uhr das Bett auf. Ich hoffte sehr, dass der Regen am nächsten Morgen aufhörte.

[subir]

Neef - Neufchâteau

19.07.1997
266 km

Es ist noch dunkel draussen, und mein Wunsch, dass es heute nicht regne, hat sich nicht erfüllt. Um 5.00 Uhr bin ich auf den Beinen, um 6.30 Uhr habe ich bereits das Moseltal in Alf verlassen, um über Wittlich, Salmrohr und Ehrang in Richtung Trier zu kommen. Durch diese Strecke spare ich die gesamten Moselschleifen.

Das Cape füllt sich immer wieder zwischen Lenker und meinem Körper zu einem kleinen See, der in Abständen ausgekippt wird. Ab und zu überholt mich ein PKW, der zu früher Stunde in Richtung Trier fährt. Es ist Samstag morgen und absolut ruhig auf der Strasse. Der Regen wird stärker, und ich beschliesse, in Ehrang eine kleine Pause einzulegen.

Gegen 10.30 Uhr rolle ich an der Porta Nigra vorbei in Richtung Konz. Der Verkehr ist jetzt stärker, und ich fahre auf dem Radweg moselaufwärts. Diesen Radweg werde ich bis Thionville nicht verlassen. Er ist gut ausgebaut, absolut ruhig und abseits der Strasse. In Wellen regnet es noch immer, aber ich merke, dass ich starken Rückenwind habe. Kurz vor Perl hört der Regen auf. Ich ziehe mein Cape aus, lasse aber die Regenschuhe an, weil das Spritzwasser noch stark auf meine Schuhe läuft. Ich merke nicht, wie ich die Grenze zu Frankreich überschreite. Erst das Schild "Sierck-les-Bains" lässt Erinnerungen an die Strecke aufkommen, die mit dem Radtouristik Verein im Jahre 1982 veranstaltet wurde.

Die Sonne lässt sogar grüssen, und die Moral auf dem Rad nimmt - genau wie der starke Rückenwind - zu. An der Mosel sitzen Angler und schauen stupide ins Wasser. Blutfinken und die Goldammer begleiten mich einige Kilometer mit ihrem Gesang. Das Atomkraftwerk Cattenom liegt schwer in der Landschaft, und ich habe lange Zeit den Eindruck, als komme ich von diesem Bau nicht los... Immer und immer ist das Werk neben mir zu sehen.

Dann mein erster Fehler: Ich verfahre mich in Thionville. Die Strecke, die damals vom RTV Lohmar noch als Fahrtrichtung ausgeschildert war, ist heute eine autobahnähnliche Schnellstrasse - für Fahrräder gesperrt. Ich muss notgedrungen in die Innenstadt und verhaspele mich total. Erst nach einiger Zeit finde ich auf die Strecke zurück und befinde mich in dem Industriezentrum zwischen Florange, Mondelange und Talange. Es stinkt und russt - hier war jahrelang die Schwerindustrie ansässig, und heute noch werden tausende Menschen dort Arbeit finden. Ich bin froh nach Metz zu kommen.

Metz zeigt sich von seiner Sonnenseite. Viel Betrieb in den Strassen. Um keine Zeit zu verlieren, frage ich einen Mountainbiker, ob er mir den Weg aus der Stadt heraus nach Pont-â-Mousson zeigen kann. Dieser hat nichts Besseres zu tun, als seine Kraft auf seinem MTB zu zeigen, und rast mit mir im Schlepptau durch Metz.

Hinter Pont-â-Mousson quere ich die Mosel und befinde mich auf der Originalstrecke in Richtung Frouard - Pompey. Ich suche Erinnerungspunkte von der damaligen Strecke - kann aber nichts ausmachen. Schade.

Mit starken Rückenwind erreiche ich Dielouvard. Steil aufwärts in ständigem Auf und Ab über Landstrassen erreiche ich in den Nachmittagsstunden Toul. Die Wolken sind fast verschwunden, und es wird heiss.

Toul ist schön, klein (9.000 Einw.), hat romantische Gassen und eine wunderschöne Kathedrale. Ich befinde mich am Anfang der Kornkammer in Frankreich. Ich beschliesse, eine längere Pause in Toul einzulegen, wäge auch den Gedanken, hier zu übernachten. Meine Kondition ist ungetrübt - ich denke an den Schiebewind und bin nach 40 Minuten wieder auf meiner Route (dachte ich). Ein zweites Mal verfahre ich mich über eine Strecke von 11 Kilometern und ärgere mich über mich selber. Ich finde einen Rad-Touristen, der gut deutsch spricht, er führt mich über Nebenstrassen zurück auf die Landstrasse in Richtung Neufchâteau.

Im Sichtfeld der Autobahn rechts neben mir geht es auf- und abwärts durch nicht enden wollende Weizen- und Gerstenfelder. Lerchen singen ihr Lied. Die Strasse ist am Horizont noch auszumachen und kommt mir unendlich vor. Dann ein erstes Hinweisschild: Neufchâteau 52 km.

Ich rechne hoch. Dafür brauche ich noch über 2 Stunden. Ich schaue auf die Uhr, wir haben bereits 18.40 Uhr. Ich sitze über 12 Stunden im Sattel und bin noch nicht müde. Jetzt aber, nach diesem Schild verlassen mich schlagartig die Kräfte. Es rollt nicht mehr, und ich falle auf einen 15er Schnitt zurück. In der Nähe von Autreville mache ich an einem Strassencafé Halt, trinke Kaffee und eine grosse Menge Wasser, esse eine Kleinigkeit und telefoniere mit meiner Frau per Handy.

Dieses kleine Ding war auf der gesamten Strecke für mich das Wertvollste. Ich hatte ständig Kontakt nach Hause und fühlte mich nie alleine auf meiner Route.

Gegen 21.30 Uhr hatte ich mein Hotel, stand fast 1/2 Stunde unter der Dusche, genoss das wunderschöne Menue und leerte eine Karaffe Rotwein Côte-D’Or.

Ich hatte mein Ziel, in den ersten beiden Tagen bis Neuchâteau zu fahren, erreicht. Nach meinen Tagebuchaufzeichnungen, die ich jeden Tag über ein bis zwei Seiten schrieb, fiel ich müde in meinen Schlaf.

[subir]

Neuchâteau - Nuits St. Georges

20.07.1997
178 km

Es ist Sonntag morgen. Bereits um 7.15 Uhr bin ich nach einem guten Frühstück auf der Strasse. Es ist noch kühl, und die N74 werde ich bis Dijon heute nicht verlassen. Gegen 8.00 Uhr kommen sie: Endlose Schlagen von Autos mit Wohnwagen und Wohnmobilen aus Holland. Streckenweise komme ich mir wie in Holland vor. (Da die N74 parallel der Autobahn führt, kann ich mir vorstellen, dass die Holländer die Autobahngebühren sparen wollen, um in den Süden zu kommen.) Der Strom der Fahrzeuge reisst bis Dijon nicht ab.

Ständiges Auf und Ab der schnurgeraden Strasse bricht teilweise die Moral. Am Horizont taucht ein PKW auf, verschwindet für kurze Zeit in einer Talmulde, um dann wieder auf der Kuppe sichtbar zu sein. Ich bin 73 km gefahren und befinde mich in Langres, einer schönen, hoch oben auf dem Berg gelegenen mittelalterlichen Kleinstadt. Es ist wieder heiss, und ich benötige Sonnenschutzmittel. In Langres erreiche ich die Bourgogne, dass Weinanbaugebiet um Dijon. Weite Felder mit Wein, die jetzt zu früher Morgenstunde mit dem Helikopter gespritzt werden.

Zwischen Langres und Dijon passiere ich die Langrer Berge, ein Höhenzug ähnlich denen im Westerwald. 81 km schnurgerade, hoch und runter, Steigungen und Gefälle, gerade wie es in die Landschaft passt. Ich bin froh, den Stadtrand von Dijon zu erreichen. Hier befindet man sich im Aufbau für die Zielankunft der Tagesetappe der Tour de France, die am kommenden Freitag hier endet. Absperrungen und Aufbau der Tribüne sind bereits vorhanden. Dijon ist schön und in den Spätnachmittagsstunden verlassen. Ich finde schnell aus der Stadt heraus, und lasse mich mit dem Strom der Autos auf der N74 in Richtung Süden treiben.

Endlose Weinfelder begleiten mich, Weinanbaugebiete, die man aus der Werbung kennt. Châteaux rechts und links der Strecke laden zum Verweilen ein. In Gevrey Chambertin trinke ich einen Kaffe und eine grosse Flasche Wasser. Ich fühle mich fit und will noch ein paar Kilometer heute fahren.

Nuits St. Georges - ein wunderschönes kleines Städtchen. Ich halte an einem Brunnen und beschliesse, die Nacht hier zu bleiben. In einem kleinen Hotel an der Ausgangsstrasse in Richtung Beaune finde ich ein Zimmer. Das Rad wird in der Garage eingeschlossen. Das Nachtessen ist herzhaft - incl. dem französischen Pils - Kronenbourg.

3 Tage bin ich unterwegs und habe keinerlei Beschwerden, lediglich die Druckstellen an Po behandle ich mit Penatencreme. Das Rad macht ebenso mit, und nach einem Check und etwas Öl wird es mich morgen früh weiterbringen.

[subir]

Nuits St. Georges - l’Arbresle

21.07.1997
192 km

Berufsverkehr und sehr reger LKW-Verkehr lassen die ersten Stunden auf dem Rad am heutigen Montag zu einer Qual werden. Ich habe ständig Angst, vom Rad gestossen zu werden, so nahe fahren die Schwerlastzüge an einem vorbei. Endlich bin ich glücklich, Beaune zu erreichen. Auf einer Nebenstrasse erreiche ich 15 km später Chagny, ein kleines, verträumtes Nest. Die Hitze ist wieder da. An einer Tankstelle kaufe ich Mineralwasser und packe dieses auf mein Rad. Ich rolle jetzt auf einer kleinen Nebenstrasse in Richtung Buxy. 4 Heissluftballons begleiten mich - ich habe wieder leichten Schiebewind. Rechts und links der Strasse riesige Sonnenblumenfelder. Ich setze mich in eine Wiese und geniesse die Ruhe und Schönheit der Landschaft und beschliesse, in einem kleinen Bach meine Trikots und Unterhemden zu waschen. Mit dem Gummiband befestigt, trockne ich im Fahrtwind meine Kleidung.

In St. Boll, etwa 40km vor Cluny, treffe ich in einem Strassencafe ein Ehepaar aus Bonn. Wir sitzen einige Minuten zusammen, nach meinem Vorhaben gefragt, springt die Frau auf, holt Ihre Kamera und macht spontan ein Foto von mir. Herzlich und mit vielen guten Wünschen verabschieden wir uns.

Ich erreiche Cluny! Meine erste grosse Station auf dem Pilgerweg nach Santiago. Hier ist durch Benediktinermönche die weitläufige Christianisierung im 10. -11. Jh. vollzogen worden. Gründungen von hier aus: die Klöster Alpirsbach und Hirsau im Schwarzwald, Gründung von La Chaise Dieu. Erste Pilgerwallfahrten und Betreuung von Pilgern nach Santiago im MA. Ich bleibe über 2 Stunden in Cluny und geniesse die Ruhe und Zufriedenheit dieses Kleinodes.

Die Hitze ist unerträglich und macht mir zu schaffen. Ich quere bei la Crx. Blanche meinen ersten Paß von 840 Meter - Ausläufer des Centralmassivs, um über Nebenstrassen um Macon herum bei la Chapelle wieder in das Saônetal zu kommen. Ein Schlag trifft mich, als ich den Verkehr auf der stark befahrenen N6 sehe. LKW an LKW dröhnen über die Strasse. Ich muss bis Villefranche dieser Strecke folgen. In Anse dann endlich die Nebenstrecke, die mich in Richtung des Tales der Brévenne, einen Nebenfluss der Saône, bringt. Kleine, verträumte Dörfer laden zum Verweilen ein. Rechts und links Weinanbau, soweit das Auge reicht. Ich sitze in einer Wiese und träume. Es ist wunderschön hier. Die Flasche Wasser wird zum Genuss.

Ich lasse es langsam angehen, fahre durch ein schattiges Tal über 12 km in Richtung l’Arbresle und erreiche in den Abendstunden die N89.

Mein Rad steht im Lokal, auf dem Tisch eine wunderbare Gemüsesuppe und als Hauptgericht Gänsekeule mit Bratkartoffeln, dazu eine Flasche roten Landwein. Es ist ein einfaches, aber gutes Lokal. Die Übernachtung kostet DM 16.--

[subir]

l’Arbresle - Le Puy

22.07.1997
189 km

Seit 2 Stunden steige ich. Der Berg will nicht aufhören, es ist wieder warm und ich bin erst 18 km gefahren. Ich befahre die N89 und muss über die Wasserscheide zwischen dem Rhônetal (Mittelmeer) und dem Loire-Tal (Atlantik). Die Naturlandschaft wird karg, ich fahre durch Gebiete, in dem vor kurzem ein Waldbrand gewütet hat. Es riecht verbrannt und verkohlt.

Bei Ste Foy-Argentière erreiche ich eine wunderschöne Hochebene. Liebliche Landschaft, Blumen und Wiesen. Ich mache eine längere Pause und geniesse die Ruhe.

Bei Bellegarde verlasse ich die N89 und fahre über Nebenstrassen nach St. Galmier. Herrliche Villen der Reichen von St. Etienne stehen hier. Es bietet sich an, hier Urlaub zu machen, ein wunderschöner verträumter Ort.

In den Mittagsstunden fahre ich am Flughafen von St. Etienne vorbei, kreuze die Autobahn Clermont - Ferrant - St. Etienne und steige 12 km über 8 % nach St. Genest - Lerpt. Hier auf der Höhe breitet sich wunderschön das Tal der oberen Loire vor mir aus. Im Hintergrund die Berge des Massif Central.

In rasender Abfahrt geht es hinab ins Loire-Tal, das ich bei Unieux erreiche. Ich rolle bei guter Stimmung das Loiretal aufwärts in Richtung Aurec, als meine Fahrradkette reisst. Urplötzlich stehe ich ohne Antrieb da. Ich benötige für die Reparatur fast eine Stunde, tue mich schwer, aber letztendlich hat die Ersatzkette bis Santiago gehalten. Meine schmutzigen Hände wasche ich an einem Brunnen bei Aurec und lege hier wiederum eine Pause von einer Stunde ein.

Fliegenfischer stehen in der Loire, Kinder baden, Boote treiben auf dem Fluss. Es ist ein romantisches Fleckchen Erde, vergleichbar mit dem Altmühltal. Noch 52 km bis le Puy. Die Stadt erreiche ich, vollkommen geschafft, um 20.15 Uhr.

Im Hotel Iris belege ich ein wunderschönes Zimmer. Nach dem Duschen kommen meine Sinne wieder, und ich geniesse den abendlichen Bummel durch Le Puy. Hier beginnt das Leben erst in den Abendstunden. Es ist 22.00 Uhr und noch sehr warm. Die Kathedrale wird umgebaut und befindet sich im schlechten Zustand. Klöppelarbeiten werden feilgeboten, und für billiges Geld wechseln Decken und Kleinteile den Besitzer.

Ich werde nächstes Jahr Le Puy wieder besuchen und mir 2 Tage Zeit lassen. Le - Puy - Ich habe in dieser Stadt erstmals das Gefühl, auf dem Camino zu sein. Pilger finde ich vor der Kirche, der Priester gibt seinen Pilgersegen, in der Sakristei werden Jakobsmuscheln und Andenken an Santiago verkauft. In der Strasse Rue du St. Jaques esse ich zu Abend. Es ist spät als ich mein Hotel aufsuche.

Ich schlafe schlecht und unruhig. Erstmals ist mein Puls nicht auf normal zurück und ist in der Nacht noch bei 78. Ich stehe auf und trinke eine Menge Mineralwasser ohne Gas und schlafe wieder ein.

[subir]

Le Puy - Nasbinals (Aubrac)

23.07.1997
158 km

Mittwoch morgen. Es ist 6.30 Uhr. Ich habe schlecht geschlafen, sitze auf dem Rad ohne Frühstück und verlasse Le Puy. Es ist kühl am Morgen und sehr dunstig. Über Cordes steige ich in die Ausläufer des Massif Central auf die Höhe der Aubrac. Die Steigungen lassen nicht nach, und höher und höher klettere ich. Die Landschaft wird karg und steinig. Weit reicht das Auge in alle Richtungen. Ich bin alleine. Ab und zu ein Auto, das mich überholt. Ich habe keinen Hunger und fahre stupide weiter. Ich spreche mit mir selber. Der Tacho will nicht über 11 km/h klettern. Rechts und links der Strasse kleine Dörfchen: Gîte de France und Chambre d’hôte zeigen, dass hier Ferien angeboten werden. Teilweise sind die Häuser verlassen und heruntergekommen.Ich befinde mich erstmals auf dem Pilgerweg nach Spanien. Die Originalstrecke von Le Puy nach St. Jean Pied de Port in den Pyrenäen. Der Wanderweg GR65 mit gelber Markierung kreuzt die kleine Strasse, die ich befahre. Die Ruhe und Einsamkeit der Wegstrecke sind schön. Nach einiger Zeit komme ich in das Bergdörfchen Allier d’Aubrac hoch über dem Alliertal, das tief eingeschnitten unten vor mir liegt. Es fängt leicht an zu regnen, und die Strasse wird schmierig. Ich beschliesse eine kurze Pause und geniesse mein verspätetes Frühstück. Die Aubrac ist schön und sicherlich werde ich hier noch mal hinkommen.

8 km steile Abfahrt ins Tal der Allier. Ich musste aufpassen, weil das Gepäck sehr drückte. Dann die Querung des Flusses über eine Brücke. Fast hätte es mich vom Rad geholt. Längsplanken, glitschig, und mit fast 4 cm Differenz zwischen den Stahlplanken sind bisher der gefährlichste Teil meiner Strecke.

Unten im Tal Rafting, viele Boote warten auf Touristen. Im Aufstieg nach Sauges - 12 km mit 6-7% - treffe ich den ersten Pilger. Er kommt aus Den Haag in Holland, ist seit 34 Tagen unterwegs und will in 6 Wochen in Santiago sein. Er hat 12 kg Gepäck ohne die 2 Wasserflaschen. Ich steige ab und gehe neben ihm her. Sein Schritt ist forsch, und ich kann das Tempo mit dem Rad nicht halten, steige wieder auf und verabschiede mich mit guten Wünschen. Er ruft mir noch nach, dass ich in Santiago beten soll für seine gute Ankunft. Ich verspreche es.

Sauges - Ich bin mitten in der Auvergne!

In der Stille der Kirche (mein Rad steht neben mir) finde ich wieder zu mir. Der schlechte Schlaf ist vergessen. Reine Romanik umfängt mich. Ich bleibe fast 20 Minuten im Dunkel dieser Kirche und habe Schwierigkeiten, mich wieder an die grelle Sonne draussen zu gewöhnen. Ich kaufe ein Kilo Nektarinen und eine Flasche Wasser.

Glücklich wieder auf der Strecke zu sein, verfahre ich mich an einer Umleitung über 12 km. Erst beim Stand der Sonne merke ich, dass ich nicht auf der richtigen Strecke bin, fahre aber noch in die nächste Ortschaft und stelle fest, dass ich mich in westlicher Richtung von der Strecke begeben habe. Es nutzt nichts - ich muss wieder zurück nach Sauges.

Die D921 und die D590 sind solch kleine Strässchen, (vergleichbar der Strecke von Altenrath nach Hasbach), dass man sich wohl fühlt. In ständigem Auf und Ab komme ich durch kleine Dörfer, teils verlassen, teils vollkommen verarmt.Saint Flour passiere ich. Die Häuser sind aus schwarzer Lava gebaut und wirken fremd und schmucklos. Die Kirche St. Pierre aus dem 15. Jh. wirkt distanzierend. Nach der Ortschaft Chaudes Aigues schlängelt sich die sehr schmale Landstrasse zunächst einmal durch malerische Landschaft mit dünner Besiedlung. Ich treffe fast 4 Stunden niemanden, bade nackt in einem klaren Bach, hunderte von Schmetterlingen begleiten mein Rad, Eidechsen liegen auf dem warmen Asphalt und sonnen sich.

Ich durchfahre auf meiner 2.745 km langen Strecke hier den schönsten Abschnitt. Keine Minute dieser herrlichen Strecke möchte ich missen. Ich sauge die Landschaft in mich auf. Alle meine Sinne sind hellwach. Ich freue mich und fange an zu singen, schreie meine Freude heraus. Ich bin überglücklich, dass ich den Weg gewagt habe.

Nach La Chaldette erreiche ich die Hochebene des Aubrac - es ist wieder heiss. Die Aubrac ist der südliche Teil des Massif Central und eine der einsamsten Gegenden Frankreichs. An manchen Stellen fällt sie aus 1500 m abrupt in das Tal des Lot ab. Ihre endlosen Horizonte ohne Häuser, Orte und Bäume sind so trostlos, dass sie faszinieren. Das Landschaftsbild gehört den Rinderherden. Ich sitze auf der Erde und kann es nicht fassen, was um mich geschieht. Keine Menschenseele ist zu sehen. Ich bin seit Stunden alleine mit mir und dem Rad. Ich überlege, hier im Freien zu schlafen, fahre doch weiter und erreiche in den Abendstunden den Weiler Nasbinals hoch in der Aubrac.

Ich frage nach einer Unterkunft - es ist kein Zimmer mehr frei. Also, doch im Freien übernachten. Ich gehe in die Kirche aus dem 11. Jh.. Am Portal erstmals ein Schild mit der Aufschrift: Chemin de Saint Jaques - Centre D’ètudes Compostanelles. Der Pfarrer bietet mir seine Kirche als Quartier an, gibt mir eine Matratze und schliesst mich mit samt Fahrrad in der Kirche ein. Für mich ist ein herrlicher Tag zu Ende.

Im Schlafsack überlege ich, dass ich seit Stunden nichts gegessen habe. Ich verspüre keinen Hunger - trotzdem esse ich das mitgenommene Obst auf. Ich schlafe sofort ein und werde erst in den frühen Morgenstunden wach. Der Pfarrer schliesst kurz vor 7.30 Uhr auf. Ich habe schon gepackt und bin 10 Min. später wieder auf dem Camino.

[subir]

Nasbinals - Fignac

24.07.1997
164 km

Noch ist es nicht ganz hell als, ich die Passhöhe des Aubrac in 1500 Meter Höhe erreiche. Ich bin wieder alleine auf der Strecke und rolle in frischer Luft hinab in das Dorf Aubrac. In 1400 Meter Höhe besteht es aus 2 Gasthöfen und 3 Häusern, die Reste einer Templerburg aus dem 11. und einer romanischen Kirche aus dem 9 Jh., ergreifend in ihrer Schlichtheit. Flandrische Templer traten bis ins 17. Jh. als Beschützer und Begleiter wehrloser Pilger auf.Die erschöpften jakobspilger des MA fürchteten nicht nur die Hitze des Sommers und im Winter die Schneestürme, sondern auch das Räuberunwesen, welches sogar den Römern zu schaffen machte, die auf der VIA Agrippa durch diese Landschaft zogen.

Heute bietet die Aubrac einen hohen Erholungswert, und im Winter sind Loipen und Pisten gesichert.

Ein paar Kilometer weiter, dort wo die Landschaft im wörtlichen Sinne ihren Höhepunkt erreicht, senkt sich die Strasse und gleitet über 30 km ins Tal des Lot. Der Wechsel des Landschaftsbildes ist überraschend und könnte krasser nicht ein. Idyllisch, malerisch und verträumt kann man diesen Landstrich nennen. Leuchtend grüne Wiesen, Flusstäler, Buschwerk und Baumgruppen, alte Brücken und kleine Dörfer wechseln ab. Das befreiende Gefühl, fernab von Terminen, Problemen, Hektik und Stress zu sein, stellt sich am Morgen ein.

Unten im Tal des Lot erreiche ich Espalion. Die gotische Brücke aus dem 13. Jh. schaue ich mir noch an, bevor ich mich auf ein gewaltiges Frühstück stürze, das selbst meine Bedienung Freude hat, mir Brot und Kaffee nachzureichen.

In vielen Windungen schlängelt sich der Lot neben der Strasse in Richtung Estaing.

Estaing - Adelssitz der Familie Estaing (Giscard d’Estaing) ist ein altes, malerisches Städtchen am Ufer des Lot. Das Schloss aus dem 15. Jh. erhebt sich gross über der Stadt. Um nach Conques - dem Höhepunkt an Sehenswürdigkeiten auf der VIA Podensis - zu gelangen, überquere ich den Lot auf der alten Brücke und steige 12 km hoch aus dem Tal heraus in Richtung Golinhac.

Hier verlasse ich die Auvergne und komme in die Region Midi-Pyrènèes.

Ein Knall schreckt mich aus meiner Verträumtheit, 2 Speichen an Hinterrad sind direkt nebeneinander gerissen. Das Hinterrad lässt sich nicht mehr drehen, blockiert die Bremse und klemmt hinten in der Rahmengabel. Was machen?

Ich habe keine Speichen dabei und kann, auch wenn ich diese als Ersatz hätte, keine Speichen wechseln. Der nächste Ort ist 35 km entfernt.

Ich baue das Hinterrad aus und demontiere die gesamte Hinterradbremse, klebe diese mit Heftband am Rahmen fest, setzte das Hinterrad schräg in den Rahmen, kann nur auf einem Kranz weiterfahren und schaffe es, wenn auch mit Mühe, Cryptien zu erreichen. Hier finde ich einen Taxifahrer, der das Hinterrad zur Reparatur etwa 18 km weiter mitnimmt. Nach etwa 2 Stunden kommt er mit dem "geflickten" Hinterrad zurück. Kosten: ca. 30 DM.

Nach einem Aufstieg über 1 km erreiche ich Conques (= Muschel). Das Tal, in dem Conques liegt, ist wie eine Muschel gebildet. Ich habe noch nie ein solch schönes Kleinod mittelalterlicher Baukunst gesehen. Conques war und bleibt für mich der absolute Höhepunkt auf meiner Strecke nach Santiago.

Die Klostergründung geht zurück auf das Jahr 400. Die Basilika Ste. Foy wurde um 880 begonnen und um 1200 vollendet. Conques wurde über seine Grenzen berühmt und ist es bis zum heutigen Tage, es gehört zum obligatorischen Ziel eines jeden jakobspilgers. Der für den Leser interessanteste Bereich ist das Tympanon mit seinen 117 Figuren, es stellt das jüngste Gericht dar.

Viel zu kurz habe ich mich in Conques aufgehalten.

Weiter talabwärts erreiche ich in Richtung Figeac wieder den Lot. Nach 2 kräftigen Steigungen komme ich nach Decazeville, dort auf die stark befahrene N140 und sehe in den Abendstunden die ersten Häuser von Capdenac. Nach dem Studium meiner Karte, um den besten Weg in Richtung Cahors zu finden (es gibt 3 Varianten), überrascht mich ein kurzes, aber kräftiges Gewitter. Unterstellmöglichkeiten gab es keine, und so saß ich unter Büschen und werde trotz meines Regenumhanges noch nass. Das Wetter ging - wie es kam.

3km vor Figeac quert zwischen 2 Gebäuden eine Nonne die Strasse, auf meine Frage in Französisch, ob sie mir eine Übernachtungsherberge oder Hotel in Figeac nennen könne, antwortet sie im klaren Deutsch: "Du kannst deutsch mit mir sprechen, ich bin Schwester Monika und komme aus Hildesheim, habe in Paris studiert und bin seit 14 Jahren hier. Du bist Pilger auf dem Camino, nicht wahr! Du kannst bei uns übernachten - wir haben eine Pilgerherberge - und essen kannst du auch bei uns."

Nach einer primitiven Duschmöglichkeit und einer auf dem Steinboden liegenden Matratze als Nachtlager nahm ich spätabends mein Nachtmahl ein: Dicke Bohnen mit Nudeln, übergossen mit einer Gemüsesuppe. Dazu Brot und ein Glas Wasser.

Der Leser wird schmunzeln - es hat mir sehr gut geschmeckt.

Was war das für ein Tag - voller Eindrücke und Ereignissen. Ich bin zufrieden eingeschlafen.

[subir]

Figeac - Auvillar (Garonne)

25.07.1997
184 km

Ich sitze in der morgendlichen Hektik einer Backstube in Figeac, vor mir duftender Kaffee und Brötchen mit Himbeermarmelade, und geniesse mein "petit déjeuner". Ein Bäckereibesitzer spricht mich morgens, gleich nachdem ich das Kloster um 5.30 Uhr bei Dunkelheit verlassen hatte (die Nonnen weckten mich durch Gebet und Gesang), von seinem PKW bei der Austragung von Brot an.

"Bonne Route - Camino de Compostel ? Oui ! Bon Courage!" In gutem Englisch gibt er mir zu verstehen, dass er bereits 4x in Santiago war und lädt mich zum Frühstück ein. "Wo willst Du heute noch hin?" - "An die Garonne - vielleicht schaffe ich Moissac!" "Moissac ! Du musst Dir den ganzen Tag Zeit lassen - Moissac ist schön." Der Bäcker gibt mir den Tipp, im Célé-Tal zu bleiben, das sind 15 km Umweg, aber eine ruhige und herrliche Strecke.Etwa 6 km hinter Figeac erreiche ich das Célé-Tal. Es ist bekannt geworden, da hier vor 2 Jahren Höhlen-Wandmalereien aus der Zeit vor unserer Zeitrechnung entdeckt worden sind. 83 km herrliche Natur durchfahre ich: rechts der kleinen Strasse steilabfallende Felsen mit Höhlen, links die Célé mit Rafting-Booten, zwischendurch immer wieder alte Häuser, Kirchen aus dem 11. und 12. Jh., Tunnel von 200 Meter, der ohne Licht nicht zu durchfahren ist.

Dann wieder ein Speichenbruch, keine 24 Stunden vorher das Pech und jetzt schon wieder. Notdürftig stelle ich mein Hinterrad um, öffne die Bremse und komme noch bis Cahors. Hier eine Stunde Pause mit Omelette und Wasser. Ich will diese hektische Stadt schnell verlassen.

Gut finde ich nach 14 km die Abzweigung nach Montcuq und weiter nach Lauzerte. Kilometerweit erstrecken sich die Felder mit Pflaumen, Pfirsichen und Honigmelonen, dazwischen das Gelb der Sonnenblumenfelder. Eine ruhige, liebliche Landschaft.

In einem Strassencafè gegen 16.00 Uhr am Nachmittag pausiere ich in Montesquieu. Ich muss noch über die Querung zwischen Barguelonne und Tarn. Die lächerlichen 240 Meter Höhenunterschied gehen ganz schön an die Kondition, durch ein schattiges Seitental erreiche ich Moissac.

Der absolute Höhepunkt in Moissac ist die Abteikirche mit ihrem Kreuzgang, Ziel aller Pilger im MA, aller Kunstliebhaber und Freunde des Zeugnisses romanischer Kunst. Der Platz ist in der Kürze der Wiedergabe nicht da, um weiter auf diese historische Kunst hinzuweisen. Ganze Bücher sind beschrieben, und der interessierte Leser kann Literatur bei mir einschauen. Ich verlasse diesen sehr schönen Ort und bin nach kurzer Zeit an der Garonne.

Bei Saint Nicolas quere ich diesen großen Fluss über eine wunderschöne Brücke und überquere die Autobahn Bordeaux-Toulouse. Es geht ständig bergauf. Kurz hinter St. Michel der absolute Tiefpunkt meiner Fahrt. Ich kann nicht mehr, steige vom Rad, schiebe irrsinnigerweise das Rad 60 - 70 Meter, setzte mich an den Strassenrand und heule. Ich will nicht mehr weiter. (Hungerast)

Nach kurzer Zeit ein Blick auf die Karte - ich fahre zurück nach Auvillar und buche ein Top-Hotel für die Nacht.

[subir]

Auvillar (Garonne) - Arzacq-Arraziguet

26.07.1997
168 km
[subir]

Arzacq - St. Jean Pied de Port

27.07.1997
146 km

Ich habe die zwei Etappen bewusst zusammengefasst, da Besonderes für den Leser nicht allzu wichtig ist. Wenn Gott in Frankreich gewohnt hätte, dann hier in der Gasgogne. Herrliches, liebliches Land, reich an gutem Essen, fruchtbare, vom Atlantik beeinflusste warme Gegend - hier haben die Musketiere ihr Unwesen getrieben.

Über einsame Seitenstrassen, kaum befahren, erreiche ich die Orte Lectoure, Condom Eauze, Nogoro - immer wiederkehrende Ortsnamen auf dem Pilgerweg nach Spanien. Ich sehe erstmals im Leben den Wiedehopf, höre den Pirol, sehe Eidechsen, Schlangen, Libellen und wunderschöne Schmetterlinge.

Bei einer Übernachtung in Arzacq treffe ich wieder auf Pilger: Ein älteres Ehepaar aus Aachen, einen Pilger aus Mannheim und 2 Frauen aus der Schweiz. Letztere waren 31 Tage unterwegs und wollten in St. Jean Pied de Port abbrechen, um nächstes Jahr die 2. Etappe nach Santiago zu laufen.

Es wird wieder warm, als ich mich in Richtung Pyrenäen aufmache. Ich komme ins Tal des Adour, ein Ferienparadies für Kenner. Im ständigen Auf und Ab des Weges quere ich bei Navarrenx die Gave d’Ollores. Nach Steigungen und Gefälle quere ich die Mouléon und komme bei St. Palais auf die D933, die mich in Richtung St. Jean Pied de Port führt.

Navarrenx, ein kleines, mittelalterliches Städtchen, hier würde ich meinen Urlaub verbringen. In einem kleinen Bach abseits der Strasse bade ich, wasche anschliessend meine Hemden und Trikots, die wieder auf dem Gepäckständer zum Trocknen aufgehangen werden.

Kurz vor dem Flecken Ostabat kommen 3 Pilgerwege aus Frankreich zusammen. 1 km rechts von der Strasse schlängelt sich eine kleine Fahrstrasse nach Harambelts und endet nach ca. 2 km an der Kapelle St. Nicolas aus dem 11. Jh.. Hier spüre ich sehr intensiv die Atmosphäre des Pilgerweges. Die Ruhe und Abgeschiedenheit der Kapelle mit ihrer holgedeckten Vorhalle und ihrem kleinen Friedhof, auf dem man Grabsteine von 1641 entziffern kann. Wie viele Pilger mögen hier im Elend begraben sein? Ich bleibe fast 1 Stunde vor der Kapelle sitzen, führe Tagebuch und träume in den Tag. Ich habe nur noch 23 - 24 km bis St. Jean Pied de Port.

St. Jean Pied de Port bedeutet St. Johann am Fuß des Passes. Gemeint ist der Ibaneta-Paß, denn ich morgen auf dem Programm habe. Hier beginnt der Pilgerweg nach Spanien, hier "steigen" die meisten Pilger auf dem Weg nach Compostela ein. Ich habe mein erstes Ziel, die Grenze nach Spanien zu erreichen, heute geschafft. Ich suche ein kleines Hotel, dusche und gehe zu Madame DeBril, die sich seit Jahren um Pilger kümmert, Buch führt, wer in den letzten Tagen "eingestiegen" ist und wer schon da war, kann Anschriften von Pilgern und Hotels geben und verteilt Pilgerpässe. Ich erfahre, dass gestern 2 Belgier aus Antwerpen von hier gestartet sind, sie hatten Fahrräder bei sich (Ich werde diese beiden in den nächsten Tagen noch öfter sehen).

Nach einem sehr guten, reichlichen und fürstlichen Essen mit Rotwein muss ich noch meiner Pflicht des Postkartenschreibens nachkommen. Um 22.30 Uhr schlafe ich ein.

[subir]

St. Jean Pied de Port - Estella (Spanien)

28.07.1997
153 km

Es ist Montag morgen 8.00 Uhr. Die Glocken läuten zur Messe, als ich nach einem guten Schlaf St. Jean Pied de Port verlasse. 30 km Aufstieg in die Pyrenäen nach Roncesvalles liegen vor mir. Der Himmel ist leicht bedeckt, die Strasse sehr ruhig. Landschaften wie in den Alpen begleiten mich beim stetigen Anstieg zur Passhöhe. Die schlimmsten Anstiege behält man am besten, so auch hier, und ich kann mich an viele Einzelheiten erinnern.

Nach 2 Std. 15 Minuten erreiche ich die Passhöhe nach Spanien, hatte 3 Liter Wasser auf den 35 km getrunken und wechselte oben am Kreuz das Trikot und rolle 200 Meter tiefer nach Roncesvalles. Nach einer Pause hier am Kloster und Besichtigung der Tafel, wo Karl der Große die Mauren erfolgreich zurückgeschlagen hat (Rolandkreuz), freue ich mich auf die Abfahrt in Richtung Pamplona. - Nur - die Abfahrt kommt nicht, statt dessen nach leichtem Auf und Ab in den Bergen der Aufstieg auf den Erropaß. In sengender Hitze, die mich bis Santiago nicht mehr verlässt, komme ich in den Mittagsstunden hier oben an. Vollkommen verschwitzt suche ich nach Wasser, das mir ausgegangen war, und bitte den Besitzer eines holländischen Wohnmobiles um Flüssiges. Ich trinke und schwitze gleichzeitig alles wieder aus. Nach dem Trikot- und Hosenwechsel dann endlich die Abfahrt über Larrassona und Burlada mit starkem Gegenwind nach Pamplona. Hier treffe ich auf 2 spanische Pilger aus Barcelona, die mit dem MTB unterwegs sind. Wir essen zusammen zu Mittag, und spontan werde ich eingeladen, gemeinsam weiterzufahren. Ich lehne dankend ab - freue mich hinter Pamplona, wieder alleine auf "meinem" Camino zu sein.

Urplötzlich wandelt sich das Bild: Aus dem satten Grün und den dunklen Brauntönen in Frankreich wird ein ockergelb. Weizenfelder und Steinöde ohne jeglichen Baumbestand begleiten mich. Ich befinde mich auf der N120, der Querverbindung zwischen Pamplona und Santiago, die über Burgos und Léon nach Lugo führt. Starker LKW-Verkehr stört mich, und ich habe Angst, dass man mich überfährt. Hinzu kommen die Hupkonzerte hunderter Fahrer, die als Ansporn gelten sollen.

In der Ferne sehe ich auf dem Alto de Perdon, einen Paß, der heute noch zu queren ist, 52 Windkrafträder. Ein grandioses Bild. Oben auf dem Pass lege ich eine Pause ein und rolle nach Legarda, um über Uterga nach Eunate zu kommen. Mir läuft es beim Anblick dieser markanten Templerkirche kalt den Rücken runter. Wie viele bilder habe ich hiervon gesehen, was ist alles hierüber berichtet worden, und jetzt stehe ich vor diesem herrlichen achteckigen Bau.

Ich pausiere fast 2 Stunden, treffe Pilger aus allen europäischen Ländern und geniesse es, hier im verbrannten Gras zu liegen.

Weiter auf dem Pilgerweg der nächste Höhepunkt: In Puenta de la Reina stehe ich auf der alten Pilgerbrücke aus dem 11. Jh.. Meine Augen können sich nicht satt sehen an diesem alten Bauwerk - hier treffe ich auch die beiden Radler aus Belgien, die bereits ein Refugium belegt haben. Sie laden mich ebenfalls ein zu bleiben. Beide waren letztes Jahr am Nordkap und wollen im Jahr 1998 nach Jerusalem!

Puenta de la Reina feiert das Fest des hl. jakobus. Junge Basken mit weissen Hosen und Blusen und roten Schärpen lärmen in der Stadt. Gestern war der Wettbewerb der Stiere, die durch die Strassen von Puente getrieben wurden. Man kann noch die Absperrungen in den Strassen sehen. Mir ist die Stadt zu unruhig, und ich beschliesse, 20 km weiter nach Estella zu fahren.

Die 20 km in der Abendsonne haben es in sich, ist man oben auf der Bergkuppe, rollt man 5 Minuten abwärts, um gleich wieder einen Berg zu nehmen. Bei diesem ständigen Wechsel, der einem den Schweiss aus allen Poren treibt, erreiche ich etwa 13 km vor Estella 3 junge Radler aus Genua, die seit 19 Tagen unterwegs sind. Alle drei sprechen gutes Englisch, sind sehr gut gelaunt, und wir bleiben über 2 km beieinander. Ich verabschiede mich und rolle alleine weiter.

Ein Speichenriss stoppt mich wieder. Ich fluche und muss in dieser wüstenähnlichen Gegend wieder vom Rad. Die drei aus Italien holen mich wieder ein, und gemeinsam reparieren wir mein Hinterrad. Dankbar bleiben wir die letzten Kilometer bis Estella zusammen, besichtigen die Altstadt, das Kloster, die alte Brücke aus dem 11. Jh. über den Rio Salado, gehen um 21.00 Uhr in die Kirche San Pedro de la Rua zur Abendmesse. Anschliessend verbringen wir einen herrlichen Abend bei gutem Essen mit (reichlich) Rotwein in der Stadt.

Es wird 24.00 Uhr als ich mein Hotelzimmer aufsuche.Was für ein herrlicher Tag neigt sich dem Ende! Was habe ich heute alles erlebt! 3 Pässe mit stetigem Auf und Ab, Pamplona, der Pass Alto de Perdon, die Kirche Eunate und Puente de la Reina. Ich kann es nicht fassen, träume sinnloses und schlafe erst gegen Morgen tief. Ich bereue keinen einzigen gefahrenen Kilometer. Die Strapazen waren schwer, aber auszuhalten. Von Tag zu Tag verbessert sich die Kondition, auch wenn ich erst 4 kg an Gewicht verloren habe. Morgen wartet eine der schwersten Etappen auf dem Camino auf mich.

[subir]

Estella - Burgos

29.07.1997
189 km

Nach 52 km erreiche ich in der morgendlichen Hitze Logrono. Das Brummen in meinem Kopf vom abendlichen Wein ist weg. Bereits das zweite Trikot ist nass verschwitzt, und ich wechsele das wieder trockene Hemd auf meiner Gepäcktasche.

Um mich herum habe ich nur Brauntöne, selbst die Kirchen und Dörfer ringsherum befinden sich in einem lehmig-braunen Zustand. Der Himmel ist über dem Horizont tief violett-blau, über mir azurblau, die Sonne unbarmherzig heiss.

Heute morgen, nach dem Frühstück, traf ich eine grosse Schar Pilger mit Hut und Wanderstock, der grosse Rucksack füllt den gesamten Rücken aus. Einzeln und in kleinen Gruppen laufen sie auf dem Camino, 80 cm messend, Schritt für Schritt. Ich denke an meinen Schwager, der vor 2 Jahren diese Strecke über 870 km gelaufen ist. Sicherlich eine andere Begegnung mit dem Camino - jeder hat seine eigene Lebensphilosophie.

Logrono begegnet mir fremd und unpersönlich. Laute, unfreundliche und hektische Menschen. Eine Industriestadt in Spanien. Ich verlasse mehr in einer Flucht die Stadt und befinde mich wieder auf der N120, die wie eine Autobahn doppelspurig nach Westen geht. Ich radele auf dem Standstreifen, denke an Deutschland mit seinen verrückten Vorschriften und kann mir vorstellen, dass 10 Minuten später eine Durchsage im Radio erscheint: "Achtung Autofahrer! Auf der Autobahn in Richtung... befindet sich ein Radfahrer. Fahren Sie bitte vorsichtig, bis die Gefahr vorüber ist." - Ich muss selber lachen, mir ist aber wieder besser, als sich die Strasse vor Navarete gabelt und wieder zu einem kleinen Strässchen wird.

Hier fällt mir ein, dass ich gestern abend kein Tagebuch geführt habe. In den Mittagsstunden mache ich Rast auf einem kleinen Friedhof mit einem riesigen, gotischen Eingangstor. Studiere Karten, lese, schreibe in meinem Buch, lege mich zwischen 2 alte Gräber auf meine Matte und schlafe im Schatten einer Zypresse ein. Nach einer guten Stunde bin ich wieder fit.

Kurz hinter Nájera verlasse ich erstmals auf meiner langen Strecke den Camino, um nach 25 km Umweg zum Kloster S. Milan de Suso zu gelangen. Ich habe lange mit mir gekämpft, schliesslich doch der Neugierde nach diesem Höhepunkt auf der Strecke nachgegeben. Suso muss man gesehen haben, ein Kloster, das seit dem 9. Jh. Mönche beherbergt, und von hier aus sind viele weitere Klöster in Spanien und Frankreich gegründet worden. Leider sind auch hier viele Touristen und es herrscht Unruhe in den Kreuzgängen.

Gegen Spätnachmittag erreiche ich Santo Domingo de la Calzada mit seiner bekannten Kirche. Hier sind Hühner in der Kirche - immer andere, aber immer an derselben Stelle, seit Jahrhunderten. Die Legende, warum diese Hühner in der Kirche sind, werde ich jedem Leser gerne persönlich erzählen.

In Santo Domingo treffe ich auf ein sehr nettes Ehepaar aus England. Nach einem weiteren Speichenbruch habe ich Zeit und sitze mit diesem Paar in einem Cafè mit Wasser und Tapas. Beide sind mit dem Trekking unterwegs, haben in Pamplona begonnen und fahren ca. 80 km pro Tag. Ich bin in guter Stimmung und überlege, den Abend mit den beiden zu verbringen.

Nachdem mein Rad wieder repariert war, bin ich in Richtung Santiago unterwegs. Ich freue mich wieder allein zu sein. Rechts der Strasse verläuft der Fussweg der Pilger, und alle grüssen zurück, die ich auf dem Weg antreffe.

In Belorada besichtige ich die Kirche. Nach einem Kaffee nehme ich mir vor, bis Burgos durchzufahren, es sind noch fast 60 km in dieser Hitze, aber es läuft gut. Die Abendsonne steht mir jetzt voll im Gesicht, und ich ziehe meine Kappe mit dem großen Schirm an, um der grellen Sonne auszuweichen. Hier ändert sich das Landschaftsbild abrupt, Wiesen und Eichenwälder bestimmen bis Burgos das Aussehen rechts und links der Strasse. Das Auge freut sich wieder grüne Bäume zu sehen.

Ich habe den Pass Montes de Oca mit seinen 1200 Metern vollkommen unterschätzt. Jetzt, in den Abendstunden bei sengender Hitze, steige ich Meter um Meter. Auf der Landkarte merkt man nicht die ewigen Steigungen und Gefälle, die der Radfahrer packen muss, jede Steigung erfordert unendliche Kraft, und ich merke erstmals mein schweres Gepäck. Meine Knie schmerzen, und die rechte Schulter macht sich bemerkbar, ich spüre den Verschleiss des Körpers. Jeder Atemzug zieht über den offenen Mund trockene Hitze ein. Ich habe noch nie eine solche Menge Flüssigkeit wie heute in mich "geschüttet".

Endlich die Abfahrt nach San Juan de Ortega.

Aus einem Brunnen trinke ich Wasser, egal, welche Folgen damit verbunden sind. (Ich habe mehrfach in Spanien fliessendes Quellwasser aus Brunnen getrunken, ohne Schaden zu nehmen)

Eingangs der Stadt Burgos finde ich ein Refugium mit Einzelzimmer, mein Rad nehme ich mit auf das Zimmer. Ich verbringe einen herrlichen Abend, ganz für mich alleine in der Stadt, hätte ich Zeit, würde ich einen Tag Pause hier einlegen. Das obligatorische Nachtmahl in Burgos war heute ohne Alkohol. 13 Stunden war ich heute im Sattel.

[subir]

Burgos - León

30.07.1997
236 km

Ich bin heute sehr früh auf, trage mein Rad auf die Strasse und muss das Gepäck nachholen. Damit in der Zwischenzeit mein Rad nicht gestohlen wird, stelle ich mein Trekking rund 30 Meter weiter vor die Polizeistation der Guardia Civil mit den Worten: "Senor, dos minutos". - Ich hätte das besser unterlassen, denn 5 Minuten später war ich "festgenommen".

In der Angst, das Rad könne durch die politische Situation mit der ETA Sprengsätze vorweisen, missversteht man meine Geste. Als ich mit meinem Gepäck und dem Schlafsack wieder um die Ecke biege, stehe ich in einem Pulk von Polizeibeamten. Das Rad hat man fast 80 Meter weiter auf den Platz geworfen (einige Kratzspuren und das Abbrechen des Katzenauges waren die Folgen).

Mit viel Gestik und Gezeter verlangt man meine Pass, fragt nach dem Warum und Weshalb, untersucht mit Spezialgeräten das Rad, und ich muss mein gesamtes Gepäck ausräumen. Erst nachdem ich meinen Pilgerausweis zeige, löst sich die Anspannung. Einige Tage vorher wurde der Bürgermeister von der baskischen Untergrundorganisation erschossen, ich habe Verständnis für die Nervosität der Polizei. Nach 20 Minuten hält ein Jeep, ich werde samt Fahrrad eingeladen und ca. 10 km vor die Tore von Burgos gefahren, eine nette Geste bei so viel Aufregung.

Ich winke der Guardia Civil nach und befinde mich wieder auf dem Camino. Das Grün der Bäume vom Tage vorher ist wieder weg, und plötzlich liegt sie vor mir: die grenzenlos unendliche Weite der Meseta. Welch wunderschöner Blick über etliche Kilometer in alle Richtungen, endlose Weizenfelder, rote ockerfarbene Erde. Ein Schild mitten in der Meseta: Santiago 523 km. Ich muss lachen, welch kleine Strecke noch bis zum Ziel.

Die Fahrt geht auf der Originalstrecke des Camino. Kleine Strassen über endlose Weiten. Mein Freund, die Sonne ist wieder da, erbarmungslos und brutal. Über meine Kappe lege ich mein Unterhemd und lasse es auf dem Rücken liegen, ab und zu giesse ich Wasser über das Hemd.

Die Meseta zu beschreiben ist fast unmöglich, man muss sie erleben. Ich geniesse in der Weite die unendliche Einsamkeit, niemand begegnet mir, kein Auto ist zu sehen. Ich schalte total ab, betrachte mein Fahrrad als mein Wohnzimmer, das Fernsehen als Landschaft vor mir, die Bar unter mir in Form der Trinkflasche, hinter mir auf den Gepäckträger das Schlafzimmer mit Schlafsack und Alumatte. Ich singe und fühle mich wohl.

Ich erreiche den ersten Höhepunkt in der Meseta: Castrojeriz. Ein kleines Dorf von 800 Einwohnern, arm, eine Bar, ein Lebensmittelgeschäft, ein Dorfbrunnen, 2 alte Kirchen aus dem 11. Jh.. Über dem Dorf eine Ruine aus der Templerzeit, hier ist die Zeit stehen geblieben.

Ich treffe Järe, ein Mädchen von 19 Jahren, braungebrannt von der Sonne. Der Strohhut lässt ihr feines Gesicht noch kleiner wirken. Seit 17 Tagen ist sie mit ihrem Freund unterwegs. Er ist vorgelaufen und seit gestern hat sie ihn nicht mehr gesehen, in Fromista will er auf sie warten. Wir sitzen fast eine Stunde zusammen und haben uns viel zu erzählen, ich teile mein Wasser mit ihr und gebe ihr einen Energieriegel. Järe kommt aus Dänemark, ist mit den Schiff bis Biarritz gefahren und in Pamplona in den Camino eingestiegen.

Sie lacht mir zu und bittet mich, in Santiago für sie und ihren Freund zu beten, dass sie gut in Santiago ankommen. Impressionen auf dem Camino. Ständig überhole ich jetzt Pilger - die müde und stupide in der Sonne Schritt für Schritt nach Westen laufen. Abseits des Weges bade ich im Rio Pisuerga, über den eine grosse Brücke aus dem 13. Jh. führt. Rechts und Links des Weges Wasserkanäle. Schäfer mit hunderten von Schafen und Ziegen. Disteln mit gelben und blauen Blüten. Ich habe noch nie so viele Störche in meinem Leben gesehen, auf jedem Kirchturm sind 2-3 Nester.

Über Fromista und Carrión de los Condes komme ich wieder auf die N120. Mit Schiebewind erreiche ich am späten Nachmittag Sahagun. Ich beschliesse, nach einem Kaffee und einem Kakao hier zu bleiben, und suche eine Übernachtung. Nichts - alles ausgebucht. Ich gehe zum Refugium - voller junger Menschen, hier will ich nicht bleiben. Ich gehe zur Kirche - verschlossen. Ich frage nach Privatquartieren - wieder negativ. Ich gehe zurück zu dem Cafè, trinke ein Wasser, esse Tapas und rufe meine Frau an. Hier erfahre ich, dass sie mir den Rückflug von Santiago geschenkt hat. Ich kann Sonntag oder Montag zurückfliegen, der Flugschein liegt am Airport.

Voller Freude über diese Nachricht setze ich mich auf mein Rad und fahre die restlichen 74 km nach Léon. Hier komme ich um 21.30 Uhr an. Ohne ein Hotel zu suchen, sitze ich verschwitzt und verdreckt in einem guten Restaurant, in Blickweite mein Rad und esse, was das Zeug hält. Gegen 23.00 Uhr belege ich ein kleines Hotelzimmer, ohne Léon gesehen zu haben. Ich verwahre mir das bis morgen.

[subir]

Léon - Villafranca del Bierzo

31.07.1997
148 km

Um 7.30, Uhr nach einem guten Schlaf besuche ich die Pilgermesse in der Kathedrale, geniesse mein Frühstück in einer kleinen Bar, besichtige die Altstadt, kaufe mir ein Shirt und Socken und bin erst um 10.45 Uhr aus Léon heraus. 60 km auf der N120 liegen vor mir. Rechts des Weges laufen die Pilger die endlos scheinende Strasse entlang. Die Hitze ist wieder da und begleitet mich auf der Strecke nach Astorga.

Ein Schild kurz vor Astorga zieht an wie ein Magnet: Santiago 286 km.

Aus der öden Landschaft - Ausläufer der Meseta, erreiche ich die Abbruchkante, vor mir liegt Astorga. Überwältigend die Kathedrale, die weit aus der Stadt hervorragt. Hier in Astorga beginnt der schönste Teil des jakobsweges. Auf sehr ruhigen Strassen und Pfaden über den grossartigen, weltabgeschiedenen Rabanalpaß, durch die grünen Täler des Bierzo, hinauf auf die weiten Höhen des Cebreiro und hinein in die herrliche Landschaft Galiziens.

Bis Galizien habe ich noch viel zu tun! Ich sitze an der Kapelle Ecce Homo 5 km hinter Astorga als sich zu mir Pedro, ein 50jähriger Spanier aus Murcia, gesellt. Er war mit dem Rad von zu Hause bis Pamplona unterwegs und will in 3-5 Tagen in Santiago ankommen. Wir verbringen die nächsten 3 Stunden gemeinsam. Der Aufstieg zum Rabanal über El Ganso trennt uns, ich habe längere Zeit auf der Passhöhe gewartet, er kam nicht. Schade! Mit ihm wäre ich gerne längere Zeit zusammen geblieben.

In der Einsamkeit de Anstieges merkt man nicht die Anstrengung, Körper und Rad sind eins, man atmet rhythmisch in vollen Zügen, der Schweiss brennt in den Augen, die Wasserflasche wird zum Hilfsmittel und muss ständig gefüllt werden. Oben auf dem Pass am Cruz de Ferro auf 1531 Meter liegt ein Steinhaufen unvorstellbarer Größe. Auf dem Haufen ein Kreuz, der Legende nach soll jeder Pilger als Glücksbringer auf dem Weg nach Santiago hier einen Stein ablegen.

Ich bin hier oben ganz alleine und treffe auch in der nächsten Stunde bei der Abfahrt nach Manjarin keinen Menschen, nicht einmal ein Auto überholt mich. Die Abfahrt (s. Anhang) ist äußerst gefährlich, und ich habe das erste Mal Angst, heil den Berg hinunterzukommen. (Straßenschäden) Der Fluss unten im Tal bei Molinaseca ist gestaut, ich bade ausgiebig in dem kristallklaren Wasser und fühle mich nach der Anstrengung wohler.

Ponferrada - ich beschliesse weiterzufahren, die Stadt ist bekannt durch den Kohleabbau und macht nicht gerade einen einladenden Eindruck. Noch 21 km habe ich heute vor mir, ich will Villafranca del Bierzo, ein kleines Dorf vor dem Einstieg auf den nächsten Pass - den Cebreiro - erreichen. Eine schöne liebliche Landschaft voller Weinanbau, Felder mit Mais und Sonnenblumen.

Bei einer starken, aber kurzen Steigung treffe ich 2 Brüder aus Straßburg, die mit den MTB unterwegs sind. Wir sitzen in Cacabelos einige Zeit an einem Brunnen zusammen, tauschen Infos aus und lachen viel. Sie wollen auch heute bis Villafranca, und wir lassen es in der Hitze des Nachmittags langsam angehen.

Villafranca ist schön! Ich verliebe mich in dieses kleine Nest und buche am Marktplatz ein kleines Hotel. Hier verbringe ich im Kreise vieler Pilger, die die Stadt fest in ihrer Hand haben, einen wunderschönen Abend. Die beiden Brüder aus Straßburg finden auch ihr Quartier, und wir essen gemeinsam zu Abend.

[subir]

Villafranca del Bierzo - Palas de Rey

01.08.1997
153 km

Um 6.00 Uhr bin ich bereits durch den Tunnel, der den Auftakt und gleichzeitig den Einstieg zum Cebreiro-Pass gibt. Oben dann die Grenze zwischen Kastilien und Galizien. Scharen von Pilgern, die zu Fuß unterwegs sind, huschen wie Schatten in der Dunkelheit an einem vorbei. Die Pilger müssen heute 38 km laufen, um den nächsten Ort der Übernachtung zu erreichen. Unterwegs (und dazwischen) ist nichts.

Nach 5 km leichten Anstieg erreiche ich in dem kleinen Bergdorf Ambasmestas die alte Passstrasse und folge dieser bis El Castro. Soll ich weinen oder lachen, ich habe es so gewollt und muss diese grosse Anstrengung packen, um nach Santiago zu kommen. Jeder, der einmal eine Pässefahrt gemacht hat, kennt die Kraftanstrengung, die oft über die Grenzen seiner Fähigkeiten gehen. Nach Erreichen des Pedrafita Passes geht es richtig in die Beine, und ein Aufstieg von 16 km bringt mich endlich auf den Cebreiro, oben dann Sonnenschein und in Galizien Nebelfelder, die wie Wattebäusche die Täler zudecken.

Ich wechsle beim nächsten Pass, dem Alto el Poyo, unterhalb einer Bronzefigur, die den hl. jakobus als Pilger darstellt, mein Trikot und mache eine lange Pause, liege im verbrannten Gras, geniesse den Sonnenschein und habe das glückliche Gefühl, oben angekommen zu sein. Der Körper regeneriert sich sehr schnell, und ich bin wieder fit für die Abfahrt von fast 30 km.

Ich befinde mich in Galizien, dem nordwestlichen Zipfel Spaniens, bekannt für seine anhaltenden Regenperioden in Frühjahr und Herbst. Nur heute hat die Sonne die Überhand und freut sich mit mir, dass ich die rasante Abfahrt nach Triacastela gut gepackt habe. Mein nächstes Ziel ist das Kloster Samos, ein Kloster der Benediktiner Mönche. Hier sind viele Bischöfe aus Santiago begraben, Samos ist es wert, eine längere Pause einzulegen, um Kloster, Kreuzgang und Kirche zu besichtigen.

Nach Querung des Rio Ouribo erreiche ich Sarria über eine alte Brücke, die den Rio Celeiro überspannt. In einem Strassencafé geniesse ich das Treiben und die Menschen dieser Kleinstadt.

Hinter Sarria erlebe ich in einer Heidelandschaft auf einer Hochebene wunderschöne alte Dörfer. Die Strasse ist kaum 2 Meter breit, und die Abgeschiedenheit der Landschaft treibt einen hunderte Jahre zurück. Im Schatten ihrer Häuser sitzen alte Menschen und unterhalten sich, nehmen kaum wahr, dass ein Pilger vorbeifährt.

Ich muss hier eine Pause machen, so wohl fühle ich mich. Es dauert eine Weile und ich bin umringt von Ziegen und Schafen. Der Hund knurrt verdächtig, und nachdem er einen Riegel von meiner Schokolade gefangen hat, trollt er müde von dannen.

Hier ist die Welt stehen geblieben.

Ich darf nicht daran denken, dass ich in 3 Tagen wieder in meinem Büro sitze. In einer leichten Abfahrt erreiche ich mein vorletztes Etappenziel - Palas de Rei - ein kleines Dörfchen von 800 Einwohnern, 1 Hostal, 1 Herberge und 2 kleine Bars. Ich esse gut zu Abend mit der Gewissheit, keine 100 km vor Santiago zu sein.

Morgen werde ich es langsam angehen, die heutige Etappe war schwer.

[subir]

Palas de Rei - Santiago de Compostela

02.08.1997
85 km

Ich geniesse mein Frühstück, habe mich von den Packteilen gestern abend getrennt, die ich für die letzte Etappe nicht mehr brauche, und bin wieder auf meinem Rad. Der Tritt ist nicht rund, und ich habe Schwierigkeiten mit der Kondition nach der gestrigen, schweren Etappe.

Es ist etwas bedeckt am Morgen, die Sonne ist bereits um 11.00 Uhr wieder auf meiner Seite. Die kleine Strasse weicht einer modernen und begradigten Schnellstrasse, die ich jetzt befahre. Ich erreiche Arzúa, eine kleines Städtchen am Rande des Pilgerweges. Rechts sehe ich wieder die Pilger auf dem Weg nach Santiago.

Die Landschaft wird geprägt von großen Eukalyptusbäumen, die wie fremd um mich herum sind.

Im ständigen Auf und Ab der Strecke erreiche ich nach ein paar Stunden den Airport von Santiago, einem kleinen, ländlichen Flughafen. Hier hole ich mein Ticket für den Rückflug morgen früh ab.

Wieder auf der Strecke in Richtung Santiago - es sind noch 14 km - fahre ich links von der Strecke etwa 2 km, um zu einer kleinen Kapelle auf den Monte del Gozo zu kommen. Hier sahen die Pilger des Mittelalters und der heutigen Zeit erstmalig ihr Ziel, die Kathedrale von Santiago, fielen auf die Knie und dankten Gott für ihre Ankunft auf dem langen Weg.Ich selber konnte durch den Dunst der Sonne die Stadt nicht erkennen, besuchte die kleine Kapelle und erreichte nach etwa einer Stunde die Stadt.

Über die Avenida und die Strasse Rua des Carretas lief mein Fahrrad langsam auf den Vorplatz der Kathedrale, die Praza da Quintana.

Menschen über Menschen!

Im Gewimmel treffe ich müde Pilger, die heute hier ankamen, sie lagen auf der Erde und waren froh da zu sein.

Ich stellte mein Rad zwischen dieBeine, schaute auf die riesige Kathedrale und musste plötzlich weinen. Ich hatte es geschafft ! Niemals zuvor bin ich eine Strecke von fast 2.800 km mit dem Rad gefahren. Es ist nicht vergleichbar mit anderen Touren. Man muss die Fahrt alleine machen, sich selber finden, sein eigenes Wesen körperlich und geistig wiedererkennen.Ich werde diese "Tour" mein Leben lang nicht vergessen.

Gedankenlos gehe ich, das Rad neben mir schiebend, in Richtung Altstadt. Ströme von Menschen begleiten mich, Strassencafés habe Hochbetrieb, Gaukler, Maler und Verkäufer von Krimskrams sind in der Stadt.

Ein Junge von etwa 13 Jahren hält mir urplötzlich ein Prospekt eines Restaurants unter die Nase, er verteilt Werbematerial, um sich ein paar Peseten zu verdienen.

"Quiere regalor bicicletas?" - "Möchtest du mein Fahrrad geschenkt haben?"

Der Junge schaut erstaunt, kann es nicht fassen, als ich meine Gepäcktaschen und meine beiden Lenkertaschen abschnalle.

Mein Trekking wechselt den Besitzer - ich laufe gedankenverloren weiter und suche ein Hotel.