2. März 2003
Nach einer halben Nacht auf dem Flughafen Düsseldorf ging es am frühen Morgen mit einem erstaunlich kleinen Flieger der Lufthansa nach Madrid. Nach zweieinhalb Stunden Flug erreichten Mirjana Pavljak, Karsten Höft und ich den großen Airport der spanischen Hauptstadt. Die Terminals machten einen miefigen Eindruck, und die Wege durch die Gebäude bis hin zur Metro waren weit.
Modern waren dagegen die Bahnhöfe und Züge der Metro. Wie in Lyon und Montreal wurde auch hier beruhigende Musik auf vielen Stationen abgespielt. Von Madrid Chamartin ging es mit einem Eilzug in die nordwestlich gelegene Stadt León, von wo aus unser gemeinsamer Pilgermarsch in Richtung Santiago starten sollte.
Das Ticket von Madrid nach León kostete für die zweite Klasse nur 21 Euro, und die Sitzplätze wurden fest vergeben. Der Schaffner notierte sich genau auf einem Zettel die Sitzverteilungen in den einzelnen Waggons und war ein wenig irritiert, nachdem wir uns einige Zeit später verteilt hatten, um mehr Platz für die Füße zu haben.
Die Vororte der Millionenmetropole Madrid erschienen ärmlich und erinnerten mich sehr an Russland. Die Landschaften dagegen waren sehr nett anzusehen, erst später wurden auch diese monoton und karg. Städte wie Valladolid übten mit ihren geziegelten Hochhäusern und Wohnblocks einen merkwürdigen Eindruck auf mich aus - die Gegenden entlang der Bahnstrecke sahen alles andere als berauschend aus...
Enttäuscht wurden wir nicht von der prächtigen Altstadt von León. So einige nett anzusehende Gassen, eine beeindruckende Kathedrale und viele weitere historische Gebäude machten den kurzen Aufenthalt zu Beginn unser Pilgertour zu einem einprägsamen Erlebnis.
Wir nächtigten im Monjas Benedictinas de Santa Maria de Carval, einem Benediktinerkloster mit Colegio und integrierter Auberge. Eine Nonne trug unsere Namen in ein Buch ein und drückte den ersten Stempel in unsere Pilgerpässe, die wir bereits aus Deutschland mitbrachten. Für die erste Nacht brauchten wir nur eine kleine Spende in eine Dose geben, und für die zweite Nacht bezahlten wir pro Person sechs Euro.
Mit im Schlafsaal übernachteten zehn lebhafte Kanadier, die uns zur Begrüßung Wein und einheimisches Gebäck reichten.
Ein Tag in León. Café con leche, Spaziergänge durch die Gassen der Altstadt, ein Besuch in der Kathedrale und ein paar Fotos von tief fliegenden Störchen und ihren auf Kirchturmspitzen befindlichen Nestern.
Am Abend wurden wir zu einem Abendgebet in einer Seitenkapelle eingeladen. Anschließend gab es noch einen Segen vor dem Hauptaltar der Klosterkirche.
"Arriba, arriba! Desayunar!" Punkt 8 Uhr wurden wir vom Hospitaleiro geweckt. Zum Abschied gab es noch ein kleines Frühstück, das aus aufgebackenem Brot und Kaffee mit Milch bestand. Der Hospitaleiro wechselte mit uns noch ein paar nette Worte und drückte uns abschließend wohlwollend die Hand.
Es folgte der Marsch nach Villadangos del Paramo. 22 Kilometer mussten auf dieser ersten Etappe zurückgelegt werden. Anfänglich ging es durch die Vororte Leóns, später folgte der Camino der Schnellstraße N 120. Jeder Meter Abstand von der Schnellstraße wurde erfreut begrüßt, und wir hofften auf baldige Besserung des Weges. Passiert wurde ein Straßenschild mit der Aufschrift "Santiago 326 km".
Auffällig waren die Schmierereien an den Straßenschildern. "Solo León", "Lleón". Auf den Schildern "Castilla-León" wurde der erste Teil einfach übersprayt. Anscheinend gibt es einige Kräfte, die eine Region León lieber selbständig und unabhängig von Kastillien sehen würden. Später in El Bierzo waren solche Aufschriften ebenfalls auszumachen: "Bierzo solo!!!". In Galizien wurden sämtliche spanische Begriffe galizisch überpinselt...
Müde und erschöpft erreichten wir die Aubergue in Villadangos gegen 16 Uhr. An der Tür hing ein Zettel, und im Vorraum der Aubergue war nur ein weiterer Gast anwesend. Es handelte sich um einen Spanier, um die 60 Jahre alt, normal gekleidet mit Hemd und Hose, neben ihm stand eine gewöhnliche, schwarze Tragetasche. Wir vermuteten, dass er mit dem Auto pilgerte, doch dem war nicht so. Sein Entschluss, den Camino zu pilgern, fasste er ganz spontan bei einem geschäftlichen Aufenthalt in León. Er sah die Muscheln auf dem Asphalt, rief seine Familie in Ferrol, in der Nähe von La Coruña, an und machte sich auf den Weg...
Zum Abendbrot bereiteten wir uns Baguette mit Leberpastete und Apfelmarmelade zu und tranken ein gekühltes Miguel. Angel, so hieß der Pilger mit der Tragetasche, ging noch in eine Bar und trank noch einige Glas Wein, bevor er zurückkehrte und sich mit uns über seine Aufenthalte in den USA und die einzelnen spanischen Provinzen unterhielt.
Die Schlafnischen waren mit je zwei Doppelstockbetten bestückt, und nur in unserer Nische gab es einen Heizstrahler. Angel deckte sich kurzerhand mit drei Filzdecken zu und sah diesbezüglich keine Probleme.
Es folgten 26 Kilometer bis zur Kleinstadt Astorga, wo uns eine nette, komfortable Aubergue erwartete. Auf dem Weg nach Astorga bildeten Hospital de Orbigo und Puente de Orbigo ein großes Highlight. Eine sehr alte Stadt und eine ebenso alte Brücke über den Rio Orbigo wurden von einer hübschen Landschaft mit einigen Bäumen eingerahmt.
In Hospital de Orbigo nahmen wir das erste Mal ein Menu del Dia - das Pilgermenü zu uns. Es bestand meist aus zwei Gängen, einem Nachtisch und Wein und Wasser. Sehr zu empfehlen sind die grünen Bohnen mit Schinken, die überaus schmackhaft sind! Solch ein Menü kostete in der Regel zwischen 5,50 und 8 Euro. Zum Essen gibt es stets eine Flasche Landwein, der allerdings in Spanien übermäßig preiswert und somit keine Besonderheit darstellt. Als Nachtisch hat man die Auswahl zwischen Früchten, Eis und dem Flan - einem Karamelpudding, der jedoch nicht in jedem Restaurant selbst zubereitet wird...
Auf dem Weg von Hospital de Orbigo nach Astorga passierten wir einige Täler und eine Hochebene, auf der uns ein Gewitter überraschte. Glücklicherweise blieb es auf der ganzen Tour der einzige Regenschauer, die kommenden drei Wochen hatten wir stets heiteres und sonniges Wetter.
Die Aubergue für Pilger in Astorga war nett gelegen, nicht sehr groß, sauber und recht komfortabel eingerichtet. Der Hospitaleiro meinte es gut mit seinen Gästen und drehte die Heizkörper auf Maximum, so dass der Schlafraum ein wenig überheizt war. Auch Angel, der Mann mit der schwarzen Tragetasche, saß bereits am Holztisch im Vorraum der Aubergue und belegte sein zuvor gekauftes Baguette mit Serrano-Schinken und Käse. Der Hospitaleiro hatte einiges zu berichten. Nach seinen Angaben pilgerte er kurz zuvor zehn Monate lang von Madrid aus über Santiago und Toulouse nach Rom und zurück. Ganze 7000 Kilometer, so teilte er uns mit, wanderte er ohne Geld von Kloster zu Kloster. Nun arbeite er als Hospitaleiro, um anschließend in seine Heimatstadt Madrid zurückkehren zu können. Später bekamen wir von zwei Pilgern aus Italien und Guatemala zu hören, dass der Mann in Astorga ein Aufschneider und Angeber sei...
Mit trockenem Hals wachten wir morgens auf, packten die Rucksäcke und gingen mit Angel und dem Hospitaleiro einen café con leche grande trinken. Auf dem Fernseher der Bar liefen die nicht all zu erbaulichen Weltnachrichten. Das Treffen von Blair, Bush und Aznar auf den Azoren stand an, und in Spanien gab es erste Proteste gegen einen möglichen Golfkrieg.
Nach einem Besuch der Kathedrale von Astorga und einem grandiosen Blick von der Altstadt auf die schneebedeckten Berge am Horizont ging es nach Rabanal del Camino. Eine Rast auf der 20 Kilometer langen Etappe legten wir in der kleinen und einsam gelegenen Ortschaft Sta. Catalina de Somoza ein, wo in der einzigen Bar des Dorfes Angel bereits auf uns wartete...
Die Landschaft war wunderschön - die Region Castilla-León zeigte sich von ihrer besten Seite. Einsame Ebenen, einzeln stehende Bäume und schneebedeckte Bergketten im Hintergrund.
In Rabanal del Camino waren wir mit Angel wieder die einzigen in der dortigen Herberge. Aus dem Gästebuch konnten wir entnehmen, dass drei Brasilianer und einige Spanier aus Murcia vor uns auf dem Camino pilgerten, doch waren diese genauso schnell wie wir, und somit konnten wir diese leider nicht kennenlernen.
Die private Herberge in Rabanal del Camino war urgemütlich und hatte im Gemeinschaftsraum einen Kaminofen, der vom Besitzer zu den Abendstunden befeuert wurde. Auf ein Abendbrot in der ansässigen Bar mussten wir uns gedulden, wir überall in Spanien wird erst zu fortgeschrittener Stunde gegessen. Auf dem Speiseplan standen huevos fritos con jamon - Spiegeleier mit Schinken.
Von Rabanal del Camino machten wir uns auf den Weg nach Molinaseca, das sich rund sieben Kilometer vor der Stadt Ponferrada befindet. Dieser Abschnitt gehörte mit zu den interessantesten der Tour. Die verlassenen Ortschaften Foncebadón und Manjarin boten tolle Motive. In Manajarin gab es inmitten der verfallenen Gebäude einen Einsiedler, der manchmal die vorbeikommenden Pilger zu einem heißen Kaffee einlud. Vor seinem Gehöft befanden sich bunte Wegweiser: Santiago 222 Kilometer, Rom 2475 km, Trondheim 5000 km, Jerusalem 5000 km, Finisterre 295 km und Machu Pichu 9450 km...
Sein Haus konnte auch als Refugio de Peregrinos genutzt werden, doch war unser Ziel Molinaseca, und es gab keine Gründe, bereits in Manjarin Pause zu machen.
Passiert wurde auch das Cruz de Ferro, das Eisenkreuz, das eines der ältesten Denkmäler des Pilgerweges ist. Vorbei ging es an der höchsten Stelle des Camnio de Santiago de Compostela: 1515 Meter über dem Meeresspiegel.
Der letzte Abschnitt der Tagesetappe hatte noch einen Bach und ein grünes, mit saftigem Gras bewachsenes Tal zu bieten. Eine Schafsherde wurde von einem alten Mann auf einem Pfad in das Tal getrieben, und schon waren die Häuser und Kirchtürme von Molinaseca auszumachen. Die Aubergue lag hinter der kleinen Stadt in einem gemütlichen Steinhaus mit großzügiger Holzüberdachung. Empfangen wurden wir vom Hospitaleiro mit einer Tasse heißen Tee und einem Feuerchen im Kamin. Angel aus Ferrol wählte an diesem Tag eine kürzere Variante und blieb in Al Acebo, dafür trafen wir in Molinaseca einen älteren Italiener, der uns zu Wein und Keksen einlud.
Guiseppe aus Norditalien war überaus sportlich und hatte bereits viele hunderte Kilometer hinter sich, da er den Camino ab den Pyrenäen abpilgerte. Er war am kommenden Morgen auch der erste, der seinen Rucksack packte und sich auf den Weg nach Villafranca del Bierzo machte.
El Bierzo ist eine Region in der Provinz Castilla-León und ist bekannt für seinen Wein, der dort auf vielen Berghängen angebaut wird. Anders als die Weinregion Rioja ist die Region Bierzo nicht so in Deutschland bekannnt.
31 Kilometer waren an diesem Tag zurückzulegen, was für meine beiden Begleiter Mirjana und Karsten schon recht knackig war. Und auch mir taten am Abend reichlich die Fußsohlen weh. Viele Streckenabschnitte des Caminos führen auch auf dem Asphalt der Landstraßen entlang, und dort helfen auch die besten Wanderstiefel und Wandersocken nicht!
Auf dem Weg nach Villafranca passierten wir am Mittag die Stadt Ponferrada, die sich nur durch die Burg und eine sehr kleine Altstadt auszeichnet. Der Rest der Stadt ist wirklich übel. Spanische Neubauten sehen wirklich nicht sehr hübsch aus, und noch gab es an jeder Ecke Baustellen und aufgerissene Straßen. In einem Outdoorgeschäft im Zentrum der Stadt kaufte ich mir für 20 Euro ein Paar Extremwandersocken, die den harten Straßenbelag ein wenig mehr dämpften.
Das Wetter war hervorragend, und ich konnte das erste Mal mit kurzer Kleidung wandern. Der Weg führte durch mehere Ortschaften und über einige Weinberge, von denen man auf die schneebedeckten Gipfel der Montes Aquilanos blicken konnte. In der urigen Herberge in Villafranca wartete bereits vergnügt und ohne sichtliche Erschöpfungsspuren der Italiener Guiseppe. Unten befand sich ein großer Aufenthaltsraum mit Bänken und Tischen, und oben unter dem Dach befanden sich die dicht an dicht gereihten Doppelstockbetten, die über eine Außentreppe erreichbar waren. Auf halber Höhe befand sich noch ein kleinerer Raum für die +50jährigen. Die Wanderstiefel hatten in dieser Herberge draußen in einem Regal zu bleiben. In der Stadt als solches boten sich einige Möglichkeiten, etwas einzukaufen oder zu Abend zu essen.
Geweckt wurden wir von im Aufenthaltsraum abgespielter Klostermusik. Wie sollte es anders sein, der Italiener war bereits gegen 8 Uhr mit einem Einheimischen tief im Gespräch verwickelt. Guiseppe fragte mich, ob man sich wieder abends in O Cebreiro sehe. Nein, wir gingen es etwas ruhiger an und hatten Vega de Valcarce als Tagesziel. Guiseppe zeigte sich ein wenig enttäuscht und meinte, dass er diesen Camino richtig durchziehe. Respekt!
Aus Vega de Valcarce wurde dann Ruitelán, da die dortige Aubergue im Winterhalbjahr verschlossen war. Eigentlich wollten wir auf dem Weg dorthin die Bergvariante des Caminos wählen, doch verpassten wir den Abzweig und mussten uns mit dem Weg entlang einer Straße begnügen.
Die Aubergue in Ruitelán war, wie man auch den vielen netten Gästebucheinträgen entnehmen konnte, etwas ganz besonderes. Die Zimmer waren kleiner als sonst, und es wurde sich fürsorglich um einen gekümmert. Der Hospitaleiro kochte Abendbrot und bereitete nach Wunsch ein leckeres Frühstück bei Kerzenschein zu. Für 25 Euro konnte man sogar eine Ganzkörpermassage bekommen. Bereits bei Ankunft umzirzte uns der Hospitaleiro und knetete prüfend die Schultern beim Gespräch, was bei uns große Verwunderung hervorrief.
In der Bar des Ortes ließen wir uns ein wenig bei café con leche und cerveza gutgehen und schauten auf dem Fernseher zwei spanische Ligaspiele.
Nach dem Kerzenfrühstück in Ruitelán machten wir uns auf den kurzen Weg nach O Cebreiro. Das "O" im Ortsnamen wies bereits darauf hin: Man verließ Kastillien und betrat die Provinz Galizien, in der neben Spanisch auch Galizisch, das ein wenig dem Portugiesischen ähnlich ist, gesprochen wird.
Bei Kilometerstein 152,5 erreichten wir Os Santos, und einen halben Kilometer später kam der große Grenzstein zwischen Galicia und Castilla-León. Ab hier wurden die Kilometer bis Santiago rückwärts gezählt. Bei jedem halben Kilometer stand seitlich ein Stein mit der noch zurückzulegenden Stecke bis zur Kathedrale von Compostela.
Für mich war es der schönste Tag der Pilgertour. Sonne, steile Anstiege, einsame Bergpfade, wunderschöne Landschaften. Bauern düngten ihre Wiesen und brannten das Gehölz an den Randstreifen ab. Alte, komplett schwarz gekleidete Frauen mit Holzpantinen schnitten Ruten von den Büschen ab, um daraus Körbe zu flechten.
Nach 12 Kilometern erreichten wir O Cebreiro, das einem Museumsdorf glich. Typisch galizische Steinhäuser mit runden Strohdächern bestimmten das Bild des Ortes, der sich auf einem Berg befand. Einige Tavernen, Restaurants und Bars gab es in O Cebreiro, doch im März wirkte der Ort noch wie ausgestorben.
Die Aubergue war modern, neu und äußerst groß. Wir hatten an diesem Tag noch viel Zeit und nutzten diese mit Wäschewaschen, Telefonaten in die Heimat und zur Erholung in der warmen Sonne.
Abends beim Menu del Dia in einem Restaurant kamen wir mit einem Engländer ins Gespräch, der mit dem Rad unterwegs war und in zwei Tagen Santiago erreichen würde. In der Küche der Aubergue trafen wir zudem auf zwei Männer aus Bari / Süditalien und Guatemala. Diese berichteten bei einer Tasse löslichem Kaffee ihre Version von dem Pilger aus Astorga, der 7000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben wollte. Zudem warnten sie vor einem Belgier, der auf dem Camino sein Unwesen treibt und Dinge aus den Räumen der Herbergen stiehlt. Angel aus Ferrol hatten sie Tags zuvor auch getroffen. Sie teilten uns mit, dass Angel sogar eine Bohrmaschine bei sich habe, und amüsierten sich köstlich über den 61jährigen Mann, der völlig ohne übliche Wanderausrüstung den Camino zurücklegte...
O Cebreiro - Triacastela. 20 Kilometer.
Eines muss voran noch erzählt werden. Schockiert war ich von den hässlichen Schildern, die uns in Galizien entlang des Caminos begleiteten. Im heiligen Jahr 1993 wurde ein Maskottchen ins Leben gerufen, das meiner Meinung nach völlig unpassend und unästhetisch ist. Eine bunte, abstrakte, unförmige Figur auf einem Fahrrad mit Beutel über der Schulter. Für einen solchen Weg mit dermaßen alter Tradition sind diese Wegweiser völlig unakzeptabel!
Auch bei den Pilgerherbergen ist in Galizien einiges anders als in der Region Castilla-León. Statt der 3 oder 4 Euro braucht in Galizien überhaupt nichts bezahlt werden. Wer möchte, kann eine Spende in einen Metallkasten werfen. Anwesend sind die Hospitaleiros zu dieser Jahreszeit meist eh nicht. Den Stempel konnte man sich manchmal selbst in den Pilgerausweis drücken. Betrieben werden diese Herbergen meist von der Xunta de Galicia, der Autonomen Regionalregierung. Im Gegensatz zu Kastillien wird das Wort "Junta" hier "Xunta" geschrieben.
Die Etappe nach Triacastela war recht unspektakulär. Spannend allein war der steile Anstieg zum Alto de Poio, auf dem es ein Gasthaus gab, in dem wir reichlich café con leche aus großen Tassen tranken und ebenso riesige Bocadillos mit Käse aßen, an denen wir lange zu beißen hatten. Die Wirtin fragte auch sogleich mehrmals nach, ob es denn auch schmecke.
Die kleine Stadt Triacastela ist auch nicht sehr hübsch, doch gab es dort eine überaus gut gelegene Herberge mit angebauter Glasveranda, von der man auf einen Bach und ein kleines, sattgrünes Tal schauen konnte. Wir verbrachten den gesamten Abend in den Korbstühlen der Veranda bei Käse, Oliven, Baguette und Getränken und plauderten bis tief in die Nacht. Wir waren die einzigen Pilger in dieser Herberge, und auch der Hospitaleiro ließ sich nur einmal kurz am Abend sehen. Das leere Gebäude, die dunklen Gänge, die vielen Fenster, die einsame Lage und der hell scheinende Mond würzten diese Nacht mit etwas Gruseligkeit. Träumte ich auf der Pilgertour eh schon sehr viel, so waren die Träume in dieser Nacht besonders intensiv.
Auf dem Weg nach Sarria wählten wir nicht die alte Route über das Kloster Samos, sondern die neue Variante, die landschaftlich schöner ist und nicht wie die alte nur an einer Straße entlang führt. Dieser Weg führte vorbei an San Xil und Montán.
Was soll ich sagen, auch Sarria war nicht sehr hübsch. Der Camino als solches war ein tolles Erlebnis mit wunderschönen Landschaften, doch die Städte entlang des Weges gefielen mir nicht besonders. Nett anzusehen waren dagegen die kleinen Ortschaften und Dörfer entlang des Weges.
In Sarria gab es unglaublich viele Super Mercados und sogar ein Internet Café, in dem man für 1 Euro ganze 45 Minuten surfen konnte. Die bekommenen e-mails waren nicht so erquickend, und so nahm ich mir vor, erst wieder in Santiago oder Madrid ins Internet zu gehen. Es war angenehm, mal ganz ohne Computer leben zu können. Ich vermisste das Fernsehen und das Internet nicht. Nur ab und zu warfen wir einen Blick in die Zeitung oder schauten in einer Bar die Nachrichten oder eine Sportsendung.
So geschehen auch am Abend in Sarria. In einer Bar bewunderten wir das beeindruckende Auftreten von Real Madrid in der Championsleague gegen den AC Milan, der mit 3:1 nach Hause geschickt wurde.
"Cinco minutos! No mas, no menos!!!" Fensterläden auf, und mir wurde am Fuß gezogen.
Die strenge Frau der Herberge in Sarria weckte uns unsanft kurz vor 8 und befahl uns, sofort aufzustehen, zu packen und zu gehen. Es war die einzige Herberge auf dem Weg, wo so konsequent darauf geachtet wurde, dass man sich um 8 Uhr auf den Weg machte...
Der Schreck musste in einer nahen Bar erst einmal mit einem doppellten Milchkaffee verdaut werden. Selten hatte ich meinen Rucksack so schnell gepackt, wie in der Herberge in Sarria.
Angel, der am Abend zuvor auch völlig müde und knülle eintraf, machte sich auch lachend auf den Weg. Die schwarze Tragetasche auf dem Rücken.
Auf ins 22 Kilometer entfernte Portomarin, in dem einige wichtige Bauwerke versetzt werden mussten, da ein angelegter Stausee einige Teile der Altstadt überflutete. Kurz vor der Ortschaft Barbadelo erreichten wir den Kilometerstein 100, an dem wir eine Pause einlegten, eines guten Freundes gedachten, Weihrauch anzündeten und einige Erinnerungsfotos machten. Auf dem Stein lagen viele Steine, und sogar eine halbvolle Weinflasche ruhte auf ihm. Viele Unterschriften und Sprüche zierten die rauhe Oberfläche des Granits. 100 Kilometer galt es noch bis zur Kathedrale von Compostela zurückzulegen.
Später, ganz in der Nähe von Ferreiros trafen wir auf eine Gruppe arbeitender Männer und Frauen, die uns zuwinkten und uns zu einem Schluck Landwein und ein paar Keksen einluden. Sie waren gerade dabei, mit Steinen und Sand eine ordentliche Wegbegrenzung anzulegen. Sie hielten bei der Arbeit inne, betrachteten uns neugierig und unterhielten sich angeheitert.
Entlang des Weges konnte man viele für Galizien typische Kornspeicher sehen, in denen meist Maiskolben lagerten. Weiterhin traf man oft auf alte Schieferplatten, die senkrecht im Boden steckten und als Feldbegrenzungen dienten. Diese Art der Landbegrenzung geht auf die Tradition der Kelten zurück.
In der Herberge in Portomarin kochten wir in der Küche Nudeln mit Tomatensoße, um mal nicht ein Menu del Dia essen zu müssen. Dazu gab es Obst und Landwein. Später am Abend wurden wir von Angel noch zu einem für Galizien typischen Schnaps in einer der Bars eingeladen.
Ein wenig verkatert nahmen wir die 24 Kilometer lange Etappe nach Palas de Rei in Angriff...
15. März 2003: Palas de Rei - Arzua
16. März 2003: Arzua - Arca
17. März 2003: Arca - Santiago de Compostela
18. März 2003: Santiago de Compostela (Pilgermesse 12 Uhr) NOCH IN ARBEIT... FOTOS AUCH IN ARBEIT!!!
marco.bertram@gmx.de